– 2003 – 03 Kollabierendes Schelfeis
08.03.2003 : Kollabierendes Schelfeis – Antarktis-Gletscher laufen aus
Das einstmals ewige Eis rund um die Antarktis scheint zu zerfallen. Die fehlende Eisbarriere könnte nicht nur die Gletscher in Turbulenzen bringen, sondern auch den weltweiten Meeresspiegel ansteigen lassen.
Es ist fast so, als habe jemand den Stöpsel aus der Badewanne gezogen: Ohne das so genannte Schelfeis, das den antarktischen Kontinent für Jahrzehnte eingeschlossen hat, mittlerweile aber immer stärker schrumpft, fehlt den Gletschern am Südpol der Halt. Fast ungehindert fliessen die Eismassen in den Ozean und lassen den Meeresspiegel deutlich ansteigen – weltweit um bis zu sieben Meter. So zumindest lautet das Szenario, das zwei Forscher vom Instituto Antártico im argentinischen Buenos Aires jetzt im US-Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht haben.
Seit 1995 das gewaltige Larsen-Schelfeis im Nordosten der Antarktis – möglicherweise infolge der weltweiten Klimaerwärmung – auseinander brach, diskutieren Geologen, welche Auswirkungen der Kollaps auf die Gletscher haben kann. Denn das Schelfeis, eine schwimmende Eisdecke riesigen Ausmasses, ist entweder direkt mit dem Land oder dem Grundeis verbunden. Besonders das Eis am Boden wirkt dabei wie eine natürliche Barriere, die sich den nachfliessenden Gletschern entgegendrückt. So zumindest die gängige Theorie. Doch britische Forscher waren zuletzt zu dem Schluss gekommen, dass selbst ein kollabierendes Schelfeis, das Kräftegleichgewicht im Innern der Antarktis nicht unbedingt ins Wanken bringen muss.
Hernán de Angelis und Pedro Skvarca sind nun zu einem anderen Ergebnis gekommen. Neu ausgewertete Satellitenaufnahmen und Luftbilder zeigen demnach, dass nach dem Zusammenbruch des Schelfeises viele Gletscher förmlich ausgelaufen sind – „zwar in Zeitlupe, aber im Prinzip wie eine Lawine“, so de Angelis.
Eisreste an felsigen Berghängen, frische Gletscherspalten und neu entstandene Steinwälle deuten darauf hin, dass der fehlende Gegendruck durch das Grundeis die Gletscher schneller und dadurch flacher abfliessen liess. Einmal ausgeblutet, zogen sich die Eismassen teils deutlich zurück.
Noch ist unklar, wie sich die neuen Erkenntnisse auf die anderen Schelfeis- und Gletscherregionen der Antarktis auswirken könnten. Vielerorts sei nicht einmal bekannt, wie dick die Eisschichten überhaupt sind, so de Angelis – möglicherweise türmen sich die Eisschichten bis zu einem Kilometer hoch.
Auch die Klimaentwicklung rund um den Südpol bleibt rätselhaft. Während in manchen Regionen die Temperaturen zuletzt gesunken sind, ist im Westen der Antarktis die Temperatur in nur 50 Jahren um 2,5 Grad geklettert. Sollte folglich auch das Schelfeis der Westantarktis schmelzen und die dortigen Gletscher auslaufen, könnte der Meeresspiegel, so die Wissenschaftler, in den nächsten 50 bis 200 Jahren um sieben Meter steigen.